Tragödie am Lunzifelsen

Der Sage nach soll sich hier am Lunzifelsen  vor vielen hundert Jahren eine schreckliche Geschichte abgespielt haben. 

Der Freibauer Lunzi vom nahen Thalerhof wollte seine Liebste, die schöne Mechthild, heiraten. Der Burgvogt von Blumberg aber stellte dieser nach. Als er sie entführen wollte, schlug ihn Lunzi nieder. Nun blieb dem jungen Paar nichts anderes übrig als zu fliehen. Es versteckte sich auf dem Plateau des steil aufragenden Felsens in den Flühen. Der einzige Zugang waren zwei Baumstämme, die wie eine Brücke über dem Abgrund zwischen Waldhang und Felsen lagen. Nach einigen Wochen entdeckten der  Vogt und seine Männer die Liebenden und wollten sie gefangen nehmen. Lunzi kämpfte heldenhaft, aber der Vogt stach ihn mit seinem Spieß nieder. Um dem verhassten Mann zu entkommen, wusste Mechthild keinen anderen Ausweg, als sich in die Tiefe zu stürzen. Als Lunzi das sah, nahm er alle Kraft zusammen und tötete den gewalttätigen Vogt. Danach verschwand er und wurde nie wieder gesehen.

Die Bevölkerung mied fortan den Ort des Geschehens und gab ihm den Namen „Lunzistein“ oder „Brautfluh“. 

 

Lunzi vom Thalerhof – Lunzistein, Version 1

In den Wutachflühen bei Fützen ragt oberhalb des Wanderweges vor der Felswand ein hoher, schlanker Kalkfels einsam in die Lüfte, dessen stark mitgenommene Platte einige Waldbäume beschatten. In der Nähe, im längst abgegangenen Thalerhof, hauste vor langer Zeit ein junger Freibauer, der Lunzi. Er war ein starker, entschlossener Mann und als geschickter Jäger weit und breit bekannt. Seine Eltern waren beide tot, und er trug sich mit dem Gedanken, die schöne Mechthild von Blumberg, seine Braut, bald heimzuführen. Da geschah es, dass er eines Tages gerade dazu kam, wie der Burgvogt von Blumberg, der Lunzis Braut wiederholt nachstellte, diese mit Gewalt küssen wolle. Da flammte des Freibauern Zorn hell auf, und er schlug den Vogt mit so gewaltigem Faustschlag nieder, dass derselbe seine besten Zähne dabei schlucken musste. Darauf entfloh Lunzi mit seiner Braut schnell nach seinem Gehöfte, holte einige Lebensmittel und sein Schießzeug, rief seinen Hund Beißwolf und suchte auf dem frei aus dem Wutachtal aufsteigenden Felsturm Zuflucht.

Die Knechte des Vogts ritten die ganze Gegend ab und lagen tag und Nacht auf der Lauer; trotzdem wagte sich Lunzi einst zur Nachtzeitnach hause, um einige notwendige Gegenstände zu holen, wurde aber beinahe erwischt und entrann nur dadurch dem Schweinsspieß seines Verfolgers, dass er diesen mit der Armbrust niederschoss. Solche Szenen wiederholten sich, bis man endlich den Aufenthaltsort des Freibauern und seiner Braut entdeckte. Vom nahen Waldhang hinüber zum Felsturm lagen zwei tannen, die Lunzi als Zugang benutzt hatte. Diesen verschanzte er und leistete so lange verzweifelten Widerstand, bis er all seine Bolzen verschossen hatte. Der Vogt zerstörte nun durch Feuerbrände die Hindernisse und drang mitr seinen Knechten auf Lunzi ein, der mit der Axt zwei seiner Bedränger in die Tiefe schlug, unterstützt von seiner treuen Mechthilde, die sich mit einem Feuerbrande der Feinde erwehrte. Als der Vogt aber den Bauern mit seinem Spieß niedergestochen hatte und Mechthild ergreifen wollte, sprang diese mit einem gellenden Aufschrei über den Felsrand in die Tiefe. Der Vogt stand einen Augenblick starr und schaute ihr regungslos in den Abgrund hinunter nach. Da sprang der verwundete Lunzi plötzlich auf und spaltete ihm mit einem mächtigen Axthieb den Schädel; dann entfloh er über den Steg nach dem walde, und niemand hat ihn je wieder gesehen. 

Der einsam dastehende Fels aber wurde von den Umwohnenden nunmehr gemieden, man nannte ihn von der Zeit an “Lunzistein“, andere aber hießen ihn die „Brautfluh“.

 

Bero vom Lunzihof – Lunzistein, Version 2

Unter den Kalkfelsen des Wutachtales ragt mancher so stolz und steil empor, als wollte er sagen: Jahrtausende stehe ich schon so, ihr kleinen, vergänglichen Menschen, und noch keiner hat es gewagt, zu mir hinaufzuklimmen. In der Nähe von Achdorf steht einer besonders schroff und unnahbar, vom übrigen Gefels und Erdreich durch eine tiefe Spalte getrennt; sie nennen ihn den Lunzistein. Von ihm geht eine gar düstere und zornbewegte Sage.

Es herrschten einst in dieser Gegend die Vögte von Blumegg. Sie waren Dienstmannen des Fürstabtes von St. Blasien, dazu gesetzt, den Zehnten einzutreiben und die leibeigenen Bauern in Botmäßigkeit zu halten. Es gab aber in den Tälern und Waldschaften aber auch freie Bauern, welche keinem anderen Herrn untertan waren als allein dem Kaiser. Ihre Zahl war früher noch größer gewesen, aber mancher hatte sich von den Abgesandten des Abtes überreden lassen, unter die Lehenshoheit des mächtigen Klosters zu treten, um in schlimmen Zeiten den Schutz der klösterlichen Vögte zu genießen. Umso zäher hielten die übrigen an ihrer altererbten Freiheit fest; sie zahlten keinen Zehnten, leisteten keinen Frondienst und traten dem vorbeiziehenden Vogte aufrecht und bedeckten Hauptes gegenüber. Bei festen und Zusammenkünften trugen sie Schwert und Lederkoller wie die Edelmänner; mancher hatte sogar Hlem und Harnisch und konnte im Notfall selbst Rittern mit gleicher Waffe trotzen.

Bero, der junge Freibauer vom Lunzihof, hatte sich mit Guntrud versprochen, einem Mädchen aus Blumegg. Man rüstete sich in der ganzen Verwandtschaft, die Hochzeit mit allem bäuerlichen Aufwand zu feiern. Da erfuhr der Vogt von Blumegg von der geplanten Heirat, und da die Braut Tochter eines seiner Hörigen war, verlangte er nach dem Beispiel vieler damaliger Zwingherren, dass das Mädchen ihm erst ein Jahr als Magd zu dienen habe. Der Lunzibauer wies solche Zumutung mit stolzem Zorne ab und vollzog die Hochzeit, ohne sich um des Vogtes Einspruch zu kümmern. 

Die ersten Boten, welche kamen, um die Herausgabe des jungen Weibes zu fordern, wurden mit Schimpf und Schlägen vom Hofe gejagt. Jetzt aber wollte der Blumegger erst recht den Bauern seine Macht fühlen lassen. Mit ei9nem ganzen Dutzend reisiger Knechte zog er aus, um den Lunzibauern zu überfallen und seinen Willen durchzusetzen. Der Bauer aber war durch einen Burgknecht gewarnt worden, den der Vogt wegen eines geringen Versehens hart gezüchtigt hatte, und als der Vogt mit seinen Helfern kam, fand er den Hof leer. Bero hatte nämlich eilends die nötigen Waffen und Lebensmittel zusammengerafft und war mit seinem jungen Weibe bei Nacht und Nebel verschwunden.

Längere Zeit wusste niemand, wohin er sich begeben hatte; auch die Häscher des Vogtes fanden keine Spur. Als aber die Sorge um sein Weib den Vertriebenen zwang, nächtlicherweile die Freundschaft aufzusuchen, um einige Hilfe zu finden, da erfuhr man, dass er drunten in der Wutachschlucht in einer Felskluft hause. Das dauerte so mehrere Wochen, Als aber die raue Jahreszeit kam, da konnten die Vertriebenen ohne stärkeres Feuer nicht mehr auskommen und der aufsteigende Rauch verriet deb herrschaftlichen Jägern ihren Schlupfwinkel. Der Vogt in seiner Rachgier wollte sich des Flüchtlings selbst bemächtigen. Er ließ die Ausgänge der Wutachschlucht bewachen und stieg mit seinem gewandtesten Knecht hinab vor die Kluft.

Aber auch diesmal war Bero gewarnt worden. Es war eines Morgens ein Armbrustpfeil vor den Eingang der Höhle geschwirrt, und als Bero ihn mit grimmigem Lächeln aufhob, da waren auf den Schaft des Bolzens Zeichen geritzt, wie sie sich die freien Bauern zusandten, wenn eine große Gefahr drohte. Auch kam ihm vor, die Raben flögen aufgeregt kreischend über der Schlucht, als wollten sie ihren Kameraden drunten zu höchster Eile mahnen. Nun wusste der Bauer, es gab nur die Wahl, entweder Ergebung in alle Gewalt und Schmach, welche der Vogt ihm und seinem Weibe zugedacht, oder letzte Zuflucht auf dem Rabenfelsen und dort auszuharren bis zum Tod.

Guntrud flehte, er möge sie töten und dann selber irgendwie fliehen und das Gericht des Kaisers anrufen, nur möge er sie nicht in die Gewalt des rohen Vogtes fallen lassen. „Gut denn, die Raben rufen, sie sollen Recht behalten! Das ich dich verlasse, das glaubst du selber nicht.“ Er gürtete sich mit dem kurzen Dolch, raffte das Schießzeug zusammen, steckte auch den warnenden Bolzen dazu und kletterte mit seinem tapferen Weibe an den Felsen empor; der lange Spieß leistete beim Heben und Ziehen die besten Dienste. Jetzt gelangten sie zur Rabenklippe. Der Bauer wusste zuvor selber nicht, wie er dahinüber kommen sollte. Aber ein vorausgegangener Sturm hatte eine alte Tanne so geworfen, dass  sie eine Brücke von Fels zu Fels bildete; diese diente ihnen nun als letzter Weg über den grauenvollen Abgrund. Der kahle Stein war jetzt also ihre Burg und Raben waren ihre letzten Genossen.

Die Späher im Tal hatten die Flucht bemerkt, und so fand auch der Vogt mit etlichen Verwegenen, denen er hohen Lohn zugesagt, den Aufstieg bis zur Tanne. Pfeile flogen herüber. Der Bauer deckte vor allem das geliebte Weib mit seiner breiten Gestalt, die eigenen Waffen musste er sparen bis zum Äußersten. „Gib die Dirne heraus, so magst du frei abziehen!“ – „Mein Weib ist Guntrud, und nimmer kommt sie in deine ruchlosen Hände!“ Der eine oder andere der reisigen Knechte versuchte über die Tanne zu klettern. Aber es war unvermeidlich, dass er sich dabei eine Blöße gab; diese benützte der Bedrängte, um ihm mit Spieß oder Armbrust eine Wunde beizubringen und ihn in den Abgrund zu schleudern. Aber die Zahl der Bedränger war größer als die von Beros Pfeilen. Als ein von Beros Stoß Getroffener ihm beim Absturz den Spieß entriss, blieb dem Bauern nur noch der Dolch als letzte Waffe. Der Bauer und sein Weib schienen verloren. Frohlockend strebte jetzt der Vogt selber über den Stamm und durch das zerfetzte Astwerk nach dem Felsen. 

„Ich bitte dich um Gottes willen, Bero, töte mich“, fleht Guntrud mit zusammengepressten Händen. Mit einem Blick voll Liebe drückt er dem treuen Weib den Dolch in die Hand: „Da, wenn du dir selber helfen musst!“ Dann wirft er sich wie eine Wilder waffenlos auf den Vogt. Der wehrt mit dem Hirschfänger den Faustgriff des Bauern ab. Bero aber in höchster Wut achtet nicht auf die Wunde. Mit raschem Griff beider Arme umfasst er den Gegner. Es sind zwei Starke, die hier auf schmalem Tannenstamm überm Abgrund ringen. Sie schwanken, sie straucheln, sie stürzen fest umklammert in die Tiefe. Als die Knechte die beiden nach gefahrvollem Suchen endlich finden, sind die Leichname so ineinander verkrallt, dass man sie fast nicht zu trennen vermag.

Was aus Guntrud geworden ist, hat man nie erfahren. Mag sein, dass Beros wackere Freunde sie gertette haben. Noch heute ist das Geschlecht der Lunzibauern verbreitet und angesehen in der Gegend vom Blasiwald bis ins Fürstenbergische hinein.“

[Quelle: Emil Kümmerle, Sagen und Geschichten aus dem Raum Bonndorf – Stühlingen - Wutach]