Grenzpfad

a) Grenzpfad und Hostiz

Dieser verläuft am Rand des Schinderwaldes, teilweise auch im Wald. Wer auf ihm unterwegs ist, kann von der Talmühle bei Schleitheim bis zu den Hallauer Berghöfen wandern. Unterwegs finden sich immer wieder Grenzsteine, die die Landesgrenze zwischen Deutschland und der Schweiz markieren. Sie sind das sichtbare Ende der „Hostiz“, einem Kuriosum, das über Jahrhunderte hinweg Ursache vieler Streitigkeiten war. Von 1491 bis 1839 übten die Herren von Stühlingen, also die Lupfener, Pappenheimer, Fürstenberger und zuletzt sogar die Großherzoge von Baden, das Recht der „Hohen Justiz“ („Hostiz“) auf der halben Gemarkung Schleitheim und auf einem kleinen Teil der Gemarkungen von Hallau und Oberhallau aus. Die „Hostiz“ beinhaltete neben dem Recht bei schweren Verbrechen über Leben und Tod zu richten auch die sogenannten „Regalien“, zu denen das Jagd-, Berg- und Tavernenrecht zählte. 

Ihr Gebiet war gut tausend Hektar groß und umfaßte den nordwestlichen Teil von Schleitheim mit dem „Gatter- und Wösterholz“. Nur ein Haus, die „Bartenmühle“, stand auf „Hostizgebiet“. Ständiger Streitpunkt waren die Wildschäden an den Reben und Ackerkulturen. Die Adligen hatten als passionierte Jäger Interesse an einem hohen Wildbestand. Das rief auch Wilderer auf den Plan.  Legendär war der „Strauchhans“ genannte Hans Heusi (1729–1797).

 

b) Begriffe zur Hostizgeschichte

Hostiz

Das Wort Hostiz entstand durch die silbenverschluckenden früheren Schlaatemer aus „Hohe Justiz“, früher „Hohe Jurisdiction“ geschrieben. Damit meinte man das Hohe Gericht bzw. die Hohe Gerichtsbarkeit

 

Die Hohe Gerichtsbarkeit, von Stühlingen ausgeübt, ist für die Todes- und Verstümmelungsstrafen zuständig. In der Neuzeit wurde sie im in der Regel zur Landeshoheit.

Zur Hohen Gerichtsbarkeit in der Hostiz gehörten ferner:

– das Zoll- und Geleitrecht

– das Todesfallrecht (Abgabe bei Todesfall)

– das Jagd-, Fischerei- und Bergrecht (Abbau von Gips und Sandstein)

– das Mühlenregal (Bartemühle)

 

Die Niedere Gerichtsbarkeit auf Hostizgebiet wurde von Schaffhausen ausgeübt.

Es umfasste:

– mindere zivile Streitigkeiten, leichtere Straftaten

– Gebots- und Verbotsgewalt

– das Steuer- und Mannschaftsrecht

– die Religionshoheit

 

Die Inhaber der Landgrafschaft Stühlingen (Reichslehen)

1251–1582  das Haus Lupfen (ihre Stammburg lag auf der Schwäbischen-Alb bei Trossingen).

1583–1639  die Reichs-Erbmarschälle von Pappenheim (sie waren evangelisch und stammten aus Mittelfranken).

1639–1806 die Fürsten von Fürstenberg (bis 1664 Grafen), ihre Stammburg lag in der Baar.

1806 wurde die Landgrafschaft in das von Napoleon geschaffene Grossherzogtum Baden eingegliedert.

 

Mundat am Randen

Das Wort Mundat leitet sich ab von Immunität (von lateinisch „immunis“ = frei von Leistungen), der Befreiung von der gräflichen Gewalt.

Aus einer Schenkung durch Burkhard von Nellenburg an das Kloster Allerheiligen (1092) beanspruchte dieses neben dem Wildbann die Hohe Gerichtsbarkeit und andere Rechte.

Die Mundat umfasste ursprünglich das Randengebiet bis gegen Blumberg hin. Es wurde die Urzelle des Stadtstaates Schaffhausen.

 

Reichsdeputationshauptschluss

Im Zuge der Französischen Revolution fegte Napoleon die Alte Eidgenossenschaft weg und räumte mit der deutschen Kleinstaaterei auf. 1803 sassen die deutschen Fürsten in Regensburg zusammen und beschlossen eine Bereinigung der Landkarte. Eine wichtige Bestimmung war, dass jede Gerichtsbarkeit, jede Lehensherrlichkeit und Ehrenberechtigung eines deutschen Reichsstandes auf helvetischem Territorium und umgekehrt jeder politische Hoheitsanspruch von Seiten der Schweiz im Deutschen Reich aufzuhören habe. Damit war die Grundlage für die gegenseitige Ausscheidung der verschiedenen Besitztümer gegeben.

 

c) Die „Hostiz“ – eine staatsrechtliche Kuriosität bis 1839

Bis 1839 war der 2163 Hektaren messende Gemeindebann von Schleitheim in zwei Hälften bzw. zwei Hoheitsgebiete geteilt. Die südöstliche Hälfte mit dem Dorf war vollständiges Hoheitsgebiet des Standes Schaffhausen. Im nordwestlichen Teil, dem als Gatter- und Westerholz bezeichneten Gebiet – mit einer Fläche von 1'030 Hektaren –  besaß der Grossherzog von Baden das aus dem Mittelalter stammende Recht der Hohen Gerichtsbarkeit. Dieses Gebiet nannte man „Hostiz“.

Ein kleiner Teil des Hostizgebietes, 104 Hektar, zur Hauptsache Wald, lag im Oberhallauer- und Hallauer Bann. Die Grenze zog sich von der Wutach hinauf auf Silstig, von dort hinab zum Galgen auf dem Schinderwasen und weiter zur Mühle am unteren Dorfrand von Schleitheim, dann auf den Bolbuck und von dort in fast gerader Linie über das Espili-Üüch in einigem Abstand zum Bach bis in den Wannenbol zur Fützemer Grenze.

Jahrzehntelange Streitigkeiten zwischen den Grafen von Lupfen und der Stadt Schaffhausen wegen der Mundat am Randen wurden 1491 durch einen Schiedsspruch entschieden: Die Mundat am Randen bekam die Stadt Schaffhausen, das Gatter- und Westerholz erhielten die Grafen von Lupfen, je mit der Hohen Gerichtsbarkeit und dem Forst- und Wildbann. Damals wurde die Hostizgrenze festgelegt.

1530 machten beide Parteien einen Tausch: Lupfen tauschte die Vogtei über Beggingen und die nördliche Hälfte von Schleitheim gegen die Vogtei Grafenhausen im Schwarzwald und umgekehrt. Beide Parteien machten aber einen Vorbehalt. Schaffhausen behielt den „Schaffhauser Wald“ in Grafenhausen  (heute noch in Kantonsbesitz) und Lupfen behielt die Hohe Gerichtsbarkeit über die nördliche Hälfte von Schleitheim. Für diese Bannhälfte war nun hochgerichtlich weiterhin Lupfen zuständig, niedergerichtlich und vogteimässig Schaffhausen. Dieser Zustand hat den Schleitheimern in den folgenden Jahrhunderten – bis 1839 – viel Ungemach und Streitigkeiten mit den Inhabern der Landgrafschaft Stühlingen und den Rechtsnachfolgern gebracht.

Weder der Reichsdeputationshauptschluss in Regensburg von 1803, noch der Wiener Kongress von 1815 und Verhandlungen 1822 und 1831 brachten eine Lösung. Erst der Staatsvertrag von 1839, in Karlsruhe abgeschlossen, brachte die langersehnte Ablösung des mittelalterlichen Zustandes herbei.

(Texte: Willi Bächtold, Verein für Heimatkunde, für die Ausstellung (H)enne & denne – Stühlingen und Schleitheim Nachbarn mit Grenze(n))

 

d) Der Strauchhans

Das Gebiet der „Hostiz“ war gut tausend Hektar groß und umfasste den nordwestlichen Teil von Schleitheim mit dem „Gatter- und Wösterholz“. Es grenzte an die Gemarkungen von Stühlingen, Weizen, Grimmelshofen und Fützen. Nur ein Haus, die „Bartenmühle“, stand auf „Hostizgebiet“. Dauernder Streitpunkt waren die Wildschäden an den Reben und Ackerkulturen. Die Grafen und Fürsten interessierte dies wenig, sie waren begeisterte Jäger und hatten Interesse an einem hohen Wildbestand.

Viele Schleitheimer waren arm und so war das Wildern Grundvoraussetzung, um ab und zu ein Stück Fleisch in der Pfanne zu haben. Legendär war der von 1729–1797 lebende Hans Heusi, der später den romantisierenden Beinamen „Strauchhans“ bekam. Er lieferte sich mit dem äußerst eifrigen Fürstlichen Oberjäger Matthias Feederle aus Stühlingen und seinen Gehilfen immer wieder Verfolgungsjagden.

Ein hohler Baumstamm soll dafür gesorgt haben, dass der „Strauchhans“ der fürstenbergischen Obrigkeit regelmäßig entkam. „Hohlen Aach“ im Gebiet Hohwald. Heute kann man sich bei einer Wanderung an der „Strauchhansenhütte“ im „Wösterholz“ ausruhen. Sie liegt im Wald und wurde so genannt, weil in der Nähe das auf dem freien Feld gelegene „Strauchhansenloch“ war. In dieser natürlichen Bodensenke mit unterirdischem Abfluss soll sich der Wilderer ebenfalls versteckt haben.

Der Schleitheimer Künstler Emil Meyer (1910–1972) erzählte auf einem großformatigen Holzschnitt die Geschichte des Wilderers und setzte ihm so ein gelungenes Denkmal. Der aussagekräftige Druck hängt nicht nur in vielen Wohnzimmern, sondern gehört auch zum Bestand des Museums Schleitheimertal.

Der Verein für Heimatkunde besitzt auch die Druckstöcke und zugehörige Skizzen.

https://www.museum-schleitheim.ch/emil-meyer_strauchhans.htm

(Text: Jutta Binner-Schwarz / Quellen: Willi Bächtold, Historische Spurensuche / Museum Schleitheimertal)

 

e) Grenzpfad als Aussichtspunkt

Der Schinderwald war trotz der Landesgrenze für Stühlinger und Schleitheimer stets ein beliebtes Ausflugsziel. Vom „Grenzpfad“ aus hatte man eine schöne Aussicht auf Stadt und Schloss. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges stand dessen Nutzung offensichtlich nichts im Wege. Dies zeigen Unterlagen aus dem Archiv des Schwarzwaldvereins. So schrieb der damalige Vorsitzende Jakob Limberger am 29.5.1937 an die Zolldirektion Schaffhausen, dass der SWV eine Bank auf dem Grenzpfad renoviert habe, die „knapp 1 Meter“ auf Schweizer Gebiet stehe. Er erklärte: „Eine Versetzung ist nicht möglich. Auf der einen Seite steht die Bank, auf der anderen Seite fällt das Gelände steil ab. Es ist deshalb nicht möglich, die Bank auf deutscher Seite anzubringen. Dieser Aussichtspunkt ist aber so beliebt, dass wir nicht darauf verzichten möchten. Da die Anbringung in Unkenntnis der Verhältnisse erfolgt ist, bitten wir hiermit um nachträgliche Genehmigung.“ Die Antwort kam am 7. Juni 1937: „In Beantwortung Ihres Gesuches vom 29. Mai abhin teilen wir Ihnen mit, dass wir die Ersetzung der schadhaften Ruhebank und die Wiederaufstellung derselben zwischen den Grenzsteinen No. 435 und 436 zirka 1 Meter von der Grenzlinie entfernt auf Schweizerhoheitsgebiet an der sog. Auhalde nachträglich bewilligen.“ Unterzeichnet wurde das Schreiben von Zollkreisdirektor Müller. 

Der Krieg änderte diesen offenen Umgang miteinander grundlegend. Als im April 1945 dessen Ende und somit auch das des Nationalsozialismus nahte, spielte der Schinderwald  wieder eine wichtige Rolle. Stühlinger Einwohner flüchteten sich vor den anrückenden französischen Truppen hinauf an die vermeintlich sichere Grenze. Ortschronist Gustav Häusler vermerkte in diesem Zusammenhang: „Viele Stühlinger begaben sich mit ihren Habseligkeiten in den Schinderwald ›Vordere Bücken‹, weil sie einen Beschuß der Stadt durch Flieger und Artillerie befürchteten.“ Auch die Schleitheimer zog es immer wieder an den „Georgsplatz“ am „Grenzpfad“, von wo aus sie einen guten Blick auf den Ort hatten. Der 1935 geborene Schleitheimer Jakob Härtenstein erzählte vor Jahren dazu: „Wir hatten die Ereignisse in Stühlingen drüben nicht nur beim Kriegsende vom Schinderwald aus genau verfolgt. Schließlich wohnten meine Großeltern drüben, der Großvater war Deutscher.“

(Text: Jutta Binner-Schwarz / Quellen: Archiv des Schwarzwaldvereins / Gustav Häusler, Stühlingen – Vergangenheit und Gegenwart / J. Binner-Schwarz, Chronik 125 Jahre Schwarzwaldverein Stühlingen)

 

f) Grenzstein Nummer 434

Ein weiterer Grenzstein fällt in der Nähe des „Grenzpfades“ ins Auge. Es handelt sich um die Nummer 434. Er steht mitten in einem Feld und ist von einer Adlerskulptur gekrönt. Platziert wurde sie hier vom Besitzer eines nahe gelegenen Hofes. Welcher Bildhauer den Adler kreiert hat, ist leider nicht bekannt. Bis zur Grenzbereinigung von 1966 verlief die  Landesgrenze auf dieser Höhe im Wald, danach wurde sie an dieser Stelle um rund 50 Meter Richtung Schweiz verlegt. In jenem Jahr wurden zwischen Stühlingen und Schleitheim mehrere Gebiete flächengleich abgetauscht. So stand zum Beispiel auch ein Teil des Areals der Zaunfabrik Pletscher in Oberwiesen auf deutschem Gebiet, während Schleitheim bei Weizen einen Waldstreifen rechts der Wutach und Grimmelshofen ein Stück links der Wutach besaß.  

(Text: Jutta Binner-Schwarz / Quelle : Willi Bächtold, Historische Spurensuche)